Blindes Vertrauen
Periodische Augenentzündungen sind bei Pferden keine Seltenheit und oft gut behandelbar, wenn man sie rechtzeitig bemerkt. Doch, was tun, wenn keine Heilung möglich ist? Einschläfern, operieren? Kann man einem blinden Pferd überhaupt noch Lebensqualität gewährleisten? Dies sind nur einige von vielen Fragen, die sich betroffenen Pferdebesitzern stellen.
In Karben-Petterweil auf der Riedbach-Ranch traf Stallgeflüster Susanne Förster und ihren Appaloosa-Wallach Duck. Die beiden sind seit 2003 ein Paar und reiten freizeitmäßig Western. „Duck ist ein tolles Pferd“, erzählt Susanne von ihrem jetzt 22jährigen Pferd. „Bis 2009 war er kerngesund, oder zumindest dachten wir das. Denn Appaloosas sind besonders anfällig für die Periodische Augenentzündung und die Krankheitsanzeichen sind oft nicht so deutlich sichtbar wie bei anderen Pferden. Bei Duck war in den Sommermonaten lediglich eine gewisse Mattigkeit festzustellen – aber damals war ich auf eine derartige Erkrankung nicht vorbereitet.“ Als sich 2009 dann beidseitig eingetrübte Linsen zeigten, konnte auch der hinzugezogene Tierarzt keine klare Diagnose stellen. „Es wurde auf die unterschiedlichsten Ursachen für Augenentzündungen behandelt“, berichtet Förster. „Erst eine auf Augen spezialisierte Tierärztin stellte definitiv die Periodische Augenentzündung fest und dass der Augeninnendruck links erheblich angestiegen war.“
„Auf Anraten der Ärztin brachten wir ihn dann in eine spezialisierte Tierklinik in Nordrhein-Westfalen“, erzählt Ducks Besitzerin. „Dort stellte man fest, dass das linke Auge nicht mehr zu retten war und entfernt werden musste, das rechte Auge konnte aber durch eine OP noch für einige Zeit mit eingeschränkter Sehkraft erhalten werden.“ So kam Duck dann auf einem Auge erblindet, zurück in seinen Stall. Doch bereits im Jahr darauf kam Susanne Förster eines Tages auf die Koppel und fand dort ihren Duck völlig orientierungslos herum irren: Auch das rechte Auge war erblindet, die Linse hatte sich gelöst und der Sehnerv war geschädigt.
„Ducks vollständige Erblindung war ein Thema, das bei uns im Stall für eine richtige Polarisation sorgte“, erzählt Susanne Förster aus dieser Zeit. „Die einen sagten: Das Pferd hat keine Lebensqualität mehr, kann nicht mehr geritten, nicht mehr gearbeitet werden, nicht mehr auf die Koppel etc. Die andere Fraktion machte uns Mut: Ausprobieren, schauen, Duck ist ein sehr nervenstarkes Pferd. Doch für mich stellte sich immer wieder die Frage: Wie geht es nun für uns weiter?“
„Ich habe mich dann überall sachkundig gemacht und u.a. Ellen Drost, selbst Besitzerin blinder Pferde und Autorin des Ratgebers ‚Das blinde Pferd’, getroffen. Die Informationen und der Austausch haben mir sehr geholfen und schließlich fiel die Entscheidung, dass Duck und ich das neue blinde Leben einfach ausprobieren und auf uns zukommen lassen.“
Als wir bei unserem Besuch auf der Riedbach-Ranch Ducks Paddock-Box betreten, schaut uns ein ruhiges, aber doch neugieriges Pferdegesicht entgegen. Wir werden genauestens untersucht und beschnuffelt genau, wie von jedem anderen Pferd auch. Als Duck mit unserer Untersuchung fertig ist, geht er zielstrebig in die Toilettenecke seines Paddocks und äppelt erst einmal. „Er kann sich mittlerweile gut orientieren, weiß haargenau, wo ich bin und es gelingt mir nur in den seltensten Fällen, ihn einmal zu überlisten und zu überraschen“, erzählt Susanne Förster von dem langsamen Genesungs- bzw. Gewöhnungsprozeß. „Im ersten Jahr hatte er schwer mit Schwindel zu kämpfen und obwohl er immer ein sehr nervenstarkes Pferd war, stieg seine Schreckhaftigkeit enorm an.“
Mittlerweile merkt man von Schreckhaftigkeit nichts mehr. Seine Besitzerin putzt ihn ganz normal in einem schmalen Gang vor der Box, trenst ihn und geht mit ihm in die große Halle, in der bereits ein weiteres Pferd am Boden gearbeitet wird. „Es dauerte etwa eineinhalb Jahre, bis er sich zurecht fand. Blinde Pferde erkunden ihre Umgebung oft in immer größer werdenden Zirkeln. Überaus hilfreich in der Zeit nach der Erblindung war die Arbeit mit meiner Trainerin, Andrea Lauth, an der Doppel-Longe, denn diese bietet eine beidseitige Anlehnungs- und Orientierungsmöglichkeit für Duck. Das A und O für ihn sind eindeutige Stimmkommandos, beispielsweise, wenn es einen Hang hinauf geht. Das Kommando ‚Hoch’ sagt ihm, dass er die vorderen Beine höher heben muss. Auch zuverlässig stehen bleiben muss er auf Kommando. Das ist besonders im Gelände wichtig, wenn z.B. vorn oder hinten ein Graben ist. Mittlerweile kann ich mich zu hundert Prozent auf ihn verlassen – unser Vertrauensverhältnis ist inzwischen enorm.“ Eine Aussage, die wir bei der Arbeit an der Doppel-Longe bestätigt bekommen. Wenn wir es nicht besser wüssten: Duck arbeitet hier wie jedes andere normale Pferd seines Alters.
„Natürlich muss man darauf achten, dass seine Umgebung für ihn passt. Es war gar nicht leicht, für ihn einen geeigneten Stall zu finden. Da war zum Einen zu berücksichtigen, dass er ja keine Zaunlitzen mehr sehen kann und die Umgebung möglichst unfallfrei gestaltet ist. Auf der anderen Seite hatten einige Stallbesitzer auch Vorbehalte ein blindes Pferd aufzunehmen. Hier bei uns hat der Eigentümer dankenswerterweise die Litzen des Paddock durch einen festen Holzzaun ersetzt. So kann sich Duck auch auf seinem Paddock gut orientieren, ohne einen Stromschlag fürchten zu müssen.“
Ansonsten verlässt sich der blinde Duck zu hundert Prozent auf seine Besitzerin. Neben Boden- und Longen-Arbeit reitet sie ihn ‚ganz normal’ im Gelände und in der Halle – sogar an Reiter-Rallyes haben die Beiden zweimal teilgenommen. Da kann Stallgeflüster dem Paar nur alles Gute und noch einige schöne Jahre miteinander wünschen.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm